Die gute Nachricht zuerst: Ein Niedergang der Dialekte wie in großen Teilen Deutschlands ist in Österreich weniger offensichtlich zu sehen. „Dialekte in Österreich sind recht stabil“, weiß Sprachwissenschafterin Alexandra N. Lenz, „vor allem im ländlichen Bereich.“ Doch auch am Land spricht kaum noch jemand ausschließlich in seinem lokalen Dialekt. „Menschen, die in Österreich sprachlich sozialisiert wurden, verfügen in der Regel über ein breites Sprachrepertoire zwischen Standard und Dialekt“, erklärt Lenz. Eine Person hat etwa bis zu fünf Varianten, den Stammvokal eines Wortes zu artikulieren (z. B. „hoam“, „haam“, „hääm“, „häim“, „haim“ für „heim“) – je nachdem, wann sie mit wem in welcher Verfassung spricht. „Diese Fülle an Variation ist schon sehr besonders.“

Natürlich können Lautvarianten oder Ausdrücke auch verschwinden – „jemandem gram“ ist man heutzutage nur noch selten. Vor allem in den Städten passiert dialektal deutlich mehr und Wien hat eine sehr dominante Rolle, was Sprachwandel betrifft. Das liegt zum einen daran, dass viele Österreicher*innen in Wien leben, arbeiten oder einen Teil ihres Lebens in der Hauptstadt verbringen. Ein anderer Grund ist die mediale Präsenz Wiens.

Besucherinnen und Besucher beim BE OPEN – Science & Society Festival

Partizipation spielt im Projekt von Alexandra N. Lenz eine wichtige Rolle, daher ist auch Citizen Science Teil des Projekts. So konnten Interessierte beim BE OPEN – Science & Society Festival (Bild) oder bei der langen Nacht der Forschung den Stand des Forschungsprojekts besuchen und herausfinden, wer wo in Österreich wann, wie und warum mit anderen spricht und welche Wirkung das erzeugt. (© Stefanie M. Moog)

Hochdeutsch ist nicht gleich Hochdeutsch

Doch auch die Standardsprache kennt nicht nur eine Norm. In anderen Worten: Hochdeutsch ist nicht gleich Hochdeutsch, sondern in der Regel eingefärbt von regionalen Merkmalen. „Wir haben Akademiker*innen und Nachrichtensprecher*innen aus Österreich und Deutschland denselben Text einlesen lassen und ihn verschiedenen Personen vorgespielt“, erzählt Lenz: „Wir wollten wissen, wie sie das Gehörte wahrnehmen.“

In den Ohren der Hörer*innen erfüllten die Sprechenden aus Deutschland am ehesten ein Konzept von „reinstem Hochdeutsch“. Wollte man jedoch wissen, was die Befragten von einer/m Nachrichtensprecher*in im ORF hören wollen, schnitten die Sprechenden aus Österreich deutlich besser ab. Das bundesdeutsche Hochdeutsch wurde zwar als kompetent, aber eben auch als unpersönlich und kühl bewertet, die österreichischen Stimuli wurden hingegen als sympathisch und persönlich wahrgenommen. „Mitunter ist es auch bei geschulten Sprecher*innen gewollt, dass regionale Merkmale bleiben, Stichwort Identität“, fasst Lenz zusammen.

Sprachkontakt über kommunikative Netzwerke

Ein weiterer Einfluss ist die historisch gewachsene Mehrsprachigkeit. Durch seine geografische Lage war und ist Österreich stark mit slawischen Sprachen in Kontakt – sei es durch Grenzgebiete oder Migration. „Wir haben uns mit Sprachkontaktsituationen beschäftigt, die mehrere hundert Jahre bestehen“, so Lenz. Oft finden sich in alten Wiener Wörterbüchern Vermerke, dass Begriffe aus dem Slawischen stammen. „Das sind Behauptungen, die bis dato niemand überprüft hat“, erklärt sie. Zusammen mit ihrem Team analysierte sie slawische und deutsche Korpora.

So konnten sie beispielsweise nachvollziehen, dass das Verb „geben“ für „setzen“, „stellen“, „legen“, wie in: „Gib es auf den Tisch“, im 19. Jahrhundert in den österreichischen Wortschatz wanderte – aus dem Tschechischen. Zunächst werden solche neuen Phänomene aber nur im Sprachkontaktraum entlang der jeweiligen Grenzen verwendet. Von da aus breiten sie sich nicht selten aus.

Es gibt keine Bedrohung

Von einer „Bedrohung“ der Sprache, beispielsweise durch Anglizismen, will Lenz aber nichts wissen: „Wir wählen selbst bewusst oder unbewusst, welche Wörter wir in unseren Sprachgebrauch übernehmen.“ Das sei eine Frage der Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft. Auch Szenarien von Dialektbedrohung empfindet sie als falsches Narrativ. Der Rückgang der Dialekte liege vor allem auch daran, dass Eltern sich entschieden haben, sie nicht mehr an die nachfolgende Generation weiterzugeben.

„In der Regel wurden sie mit Spracheinstellungen konfrontiert, die Dialekte als unschön und gefährdend für den sozialen Aufstieg ansehen“, so die Sprachwissenschafterin. Letztlich sei das bedauerlich, denn die Argumentation ist wissenschaftlich nicht haltbar. Im Gegenteil: Wer mehr Varietäten innerhalb der eigenen Sprache beherrscht, ist kognitiv im Vorteil.

Sprache geht alle etwas an

„Sprache wirkt unvergleichlich, wenn wir sie mit anderen Arten von sozialen Handlungen kontrastieren“, fasst Lenz zusammen. All die Diskussionen um Fake News, Hate Speech, um regionale und nationale Identitäten seien letztlich Fragen, die mit Sprache zu tun haben. „Es ist uns wichtig, dass man auch außerhalb der Wissenschaft etwas mit unseren Ergebnissen anfangen kann“, ergänzt sie. Sprache geht uns schließlich alle an. Im Rahmen des Citizen Science Projekts „IamDiÖ – Deutsch in aller Munde und aller Köpfe“ können Bürger*innen deshalb ihre Konzepte einbringen und Fragen stellen. (sn)

Univ.-Prof. Dr. Alexandra N. Lenz vom Institut für Germanistik leitet den Spezialforschungsbereich „Deutsch in Österreich“ (FWF F060), ein vom FWF finanziertes Gemeinschaftsprojekt, das sich mit der Vielfalt und dem Wandel der deutschen Sprache in Österreich beschäftigt. Das Projekt ist an den Universitäten Wien, Graz, Salzburg, sowie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt, die Förderung läuft von 2016 bis 2023.