Im alltäglichen sozialen Miteinander verbreitet sich derzeit nicht nur das Corona-Virus, sondern auch die Angst davor. Bis sich die Alltagsnormalität wieder einstellt, leben wir in Widersprüchen. Entschleunigen heißt die Devise, während sich die Ereignisse gleichzeitig überschlagen: Verordnungen sind wenige Stunden später von neuen Realitäten überholt, widersprüchliche Gesundheitsratschläge machen die Runde. Es ist eine verkehrte Welt, in der das intime Miteinander zum Risiko wird, in der sich die sichernden Rituale des Alltags gegen uns wenden: Wir werden uns zur Gefahr, wenn wir füreinander sorgen, wenn wir uns die Hand reichen.

Widersprüchlich ist, dass medizinische Fakten, auf die wir angewiesen sind und die in unserer Gesellschaft für Sicherheit, Rationalität und Wahrheit stehen, gleichzeitig trügerische Hoffnungen und Ängste mittransportieren. Diese rasch um sich greifende Angst vor der Angst gehört aber nicht erst seit Covid-19 zu unserem Alltag – sie ist längst viral geworden. Und wie sollen wir in der alltäglichen Dauerexplosion von Bildern, Unsicherheitsmeldungen und Live-Tickern unterscheiden, was Fakt ist und was Fiktion? Während Medien und Institutionen vor Kurzschlussreaktionen warnen und verantwortliches Handeln einfordern, rufen grafische Darstellungen angreifender Viren bekannte Science-Fiction-Fantasien wach. Eine ganz andere Sprache sprechen Ängste um den Job, das Geschäft, die wirtschaftliche Existenz. Wissen wir denn, wovor wir Angst haben, ob diese Angst suggestiv von innen kommt oder aber aus einer äußeren Bedrohung?

Ansteckend

Ständig auf die Unentscheidbarkeit von Sicherheit und Unsicherheit, Rationalität und Irrationalität zurückgeworfen zu sein, macht wesentlich die Erfahrung der „panischen Moderne“ aus. Trotzdem haben wir mit einem solchen Zustand des Daueralarms umzugehen gelernt. Vielleicht auch deshalb haben wir uns in den letzten Wochen schwer getan damit, uns auf die Realität dieser neuen Krise einzulassen. Viele sind den sich überschlagenden Meldungen mit Zurückhaltung, Lachen und distanzierendem Staunen begegnet und konnten sich so wohl ein Stück weit vor der alarmistischen Ansteckung mit der Angst bewahren. Wir haben uns an die einfachen Dinge des Lebens gehalten, Geschichten vom Hype um Klopapier ausgetauscht und dabei selbst unsere Vorräte aufgestockt. Wir haben diese Ausnahmesituation mit erlebten oder überlieferten Erfahrungen verglichen, haben von Ausgehsperren und rationierten Lebensmitteln in Krieg und Nachkriegszeit erzählt, oder uns an die unsichtbare Wolke von Tschernobyl erinnert. Wir haben begonnen, unsere Wohnungen aufzuräumen, neu und anders miteinander zu kommunizieren und uns im Außeralltäglichen neue Alltage einzurichten.

Vielleicht können wir auf diese Weise mit den Mitteln des Alltags nicht nur dem Corona-Virus begegnen, sondern auch den Schäden entgegenwirken, die diese erneute Spirale der Angst hinterlassen wird.