„Seit zwei Tagen frisst Sindi nichts und trinkt auch kaum etwas“, äußert sich Wilfried S. besorgt über seine vierbeinige Begleiterin. Die Hündin wurde nach der Kastration zur Kontrolle bestellt, wo sie von Tierarzt Robert Basika und seinen Assistentinnen Claudia Lecher und Jenny Rost umfassend untersucht wird. „Nichts Auffälliges. Sie wird sich bald wieder von der OP erholen“ beruhigt der Tierarzt den Hundebesitzer. Mit zwei Pflastern zum Wechseln und Tipps für die Versorgung der Hündin verlässt Wilfried S. erleichtert den Behandlungsraum.

Sindi ist einer der zahlreichen Tierpatienten, die heute Vormittag in der tierärztlichen Versorgungsstelle des Neunerhauses vorstellig werden. Robert Basika kümmert sich als einer von 18 ehrenamtlichen TierärztInnen gemeinsam mit zehn AssistentInnen im Dienstrad um die tierischen Freunde von obdachlosen Menschen. Er war von Anfang an dabei, als die Einrichtung vor knapp fünf Jahren ins Leben gerufen wurde, und seit damals die Wohnhäuser und medizinischen Angebote des Neunerhauses ergänzt. „Wir erleben häufig sehr enge Beziehungen und ein großes Vertrauensverhältnis zwischen Tier und Mensch, wie zum Beispiel bei Hündin Sindi und ihrem Besitzer. Sie ist noch jung und trotz der ungewohnten Situation ganz entspannt. Diese emotionale Verbundenheit gibt Menschen in Krisensituationen Halt“, erklärt Basika.

Leben mit Hund

Wilfried S. könnte sich ein Leben ohne Haustiere nicht vorstellen. Durch die Scheidung von seiner Frau vor zwei Jahren verlor er nicht nur sein familiäres Umfeld und seine Wohnung sondern auch den Bezug zu seinen Hunden, Katzen und Meerschweinchen. Vor knapp einem Jahr zog die Golden Retriever-Dackel-Hündin dann bei ihm im Wohnheim für obdachlose Menschen des Samariterbundes ein. „Sindi ist ein freundliches Wesen, sie spielt mit jedem. Und sie sorgt dafür, dass ich mich bewege. Jeden Tag zwei Stunden sind wir täglich draußen unterwegs“, erzählt der 53-Jährige, der derzeit arbeitslos ist.

Wie wichtig Tiere für obdachlose Menschen sind, weiß das Neunerhaus von zahlreichen Lebensgeschichten betreuter KlientInnen. Tiere bringen Struktur in den Tagesablauf und liefern ihren BesitzerInnen einen Grund, weiterzumachen. Die Unterstützung ist zudem wechselseitig – die HalterInnen sorgen für ihre Tiere, aber auch die Vierbeiner kümmern sich gut um den Menschen. In Sorge um ihr Tier können Obdachlose auch leichter Hemmschwellen überwinden, um Hilfe überhaupt anzunehmen. Ist durch einen Besuch beim Tierarzt erst einmal ein Vertrauensverhältnis zur Organisation aufgebaut, nutzen wohnungslose Menschen auch andere Angebote des Neunerhauses, wie zum Beispiel die Arzt- oder Zahnarztpraxis und sorgen damit für ihre eigene Gesundheit. Ein positiv erlebter Erstkontakt kann daher zu einer längeren Kooperation führen.

Dank statt Geld

Robert Basika und seine Assistentinnen sind ein eingespieltes Team, das sichtlich Freude an der Arbeit hat. Mit Wertschätzung und Geduld begegnen sie den Tieren ebenso wie ihren HalterInnen. „Große Dankbarkeit ist häufig das, was wir zurückbekommen. Die Besitzerinnen und Besitzer schätzen die veterinärmedizinische Versorgung sehr. Dass es nicht ums Geld geht, wie in der Privatpraxis, finde ich sehr angenehm“, betont Basika.

Als nächstes ist Bessi an der Reihe. Die füllige Mischlingshündin aus Beagle und Rhodesian Ridgeback braucht eine Impfung, damit sie mit Herrchen Erwin B. und Frauchen Eva F. in die Slowakei für behördliche Erledigungen fahren kann. „Wir können Bessi nicht alleine lassen, sie gehört zu uns. In der Nacht liegt sie bei uns im Bett und lässt kaum Platz übrig“, erzählt Eva F. schmunzelnd, die mit ihrem Partner gemeinsam im Übergangswohnhaus der VinziRast lebt. „Die Ausgaben fürs Hundefressen halten sich in Grenzen, aber die Kosten für den Tierarzt könnten wir nicht berappen“, freut sich Eva F. über das kostenlose Angebot im Neunerhaus.

Basisversorgung für Haustiere

Die tierärztliche Betreuung im Neunerhaus ist nur mit Zuweisung durch eine Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe möglich. „Damit wird sichergestellt, dass genau die intendierte Zielgruppe, nämlich obdachlose Menschen, erreicht wird“, erklärt Eva Wistrela-Lacek, tierärztliche Leiterin im Neunerhaus. Im Fokus der tierärztlichen Betreuung steht die Basisversorgung von Kleintieren, zum Großteil Hunde. Denn der Verlust der Wohnung bedeutet meist auch den Verlust von anderen Haustieren wie Katze oder Nager. Parasitenprophylaxe und -behandlung, medizinische Routineversorgung, Impfungen, sowie einfache chirurgische Eingriffe sind die häufigsten Behandlungen. Für chirurgische Spezialfälle, zum Beispiel Knochenbrüche oder Tumore, stehen die Universitätskliniken der Vetmeduni Vienna als Kooperationspartner zur Verfügung.

„Hier als Tierarzt zu arbeiten, ist für mich jedenfalls sehr bereichernd“, resümiert Basika. „Manchmal ist Improvisation gefragt, etwa wenn nicht genau die Medikamente lagernd sind, mit denen ich gewohnt bin, zu arbeiten. Oder wenn, wie heute, die EDV Probleme macht. Außerdem sehe ich mein Engagement auch als Dienst an der Allgemeinheit. Ich hatte das Privileg, kostenlos zu studieren, so kann ich auch etwas zurückgeben.“

Foto: Michael Bernkopf/Vetmeduni Vienna