Bei der Analyse von 40 Studien zu Teilaspekten des Themas konnte erstmals ein umfassender Überblick über jene vielfältigen Faktoren gewonnen werden, die den Zugang obdachloser Menschen zu Krebspräventionsdiensten bestimmen. „Wir haben die Erkenntnisse sowohl über die Krebsrisikofaktoren als auch über die Barrieren der Krebsvorsorge bei obdachlosen Menschen systematisch erhoben“, fasst Studienleiter Igor Grabovac (Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin, Zentrum für Public Health der MedUni Wien) die Besonderheit der Übersichtsarbeit zusammen.

Neben dem naheliegenden Fokus obdachloser Menschen auf Grundbedürfnisse wie Essen und Schlafplatz spielen bei den Defiziten der Krebsprävention u. a. fehlende Unterstützung durch Familie und Freunde, geringer Bildungsgrad oder mangelnde Infrastruktur und Privatsphäre für die Vorbereitung zu Untersuchungen eine Rolle. Aber auch negative Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem bzw. -personal stellen sich in Studien als Hindernis heraus. Sexuelle Traumata etwa führen in Kombination mit einer wertenden und wenig einfühlsamen Behandlung beim Pap-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs dazu, dass Screening-Angebote nicht oder nicht mehr in Anspruch genommen werden. „Umgekehrt zeigten sich sexuell traumatisierte obdachlose Frauen für einen Pap-Abstrich bereit, wenn sie eine vertrauensvolle Beziehung zum Anbieter hatten und eine einfühlsame Betreuung erhielten“, nennt Erstautorin Maren Jeleff (Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin, Zentrum für Public Health der MedUni Wien) einen nicht unerheblichen Faktor der Krebsprävention in dieser Gruppe.

Lebensumstände und -erfahrungen berücksichtigen

Wie viele obdachlose Menschen die Möglichkeiten von Vorsorgeuntersuchungen nützen bzw. nützen können, ist nicht erfasst. Wie Studien z. B. im Fall von Brust- und Darmkrebs-Screenings in den USA zeigen, haben weniger als 50 Prozent dieser Gruppe Zugang dazu. Da Früherkennung gerade bei Krebs essenziell für die Prognose der Erkrankung ist, ist auch die Krebssterblichkeit in dieser Gruppe deutlich erhöht. Dass die Häufigkeit von Krebserkrankungen bei obdachlosen Menschen doppelt so hoch ausfällt wie bei Menschen mit Wohnsitz ist durch die höhere Prävalenz von Risikofaktoren zu erklären. Missbrauch von Substanzen, allen voran Tabak und Alkohol, risikoreiches Sexualverhalten und erhöhte Exposition von Umweltrisikofaktoren wie Sonneneinstrahlung oder Schadstoffe schlagen in dieser Gruppe verstärkt zu Buche. „Die Studienergebnisse zeigen, dass Obdachlose in hohem Maß bestimmten Krebsrisikofaktoren ausgesetzt sind. Entsprechend braucht es dringend Präventionsmaßnahmen, die auf die Lebensumstände und -erfahrungen dieser Gruppe zugeschnitten sind“, so Igor Grabovac im Vorfeld weiterer Forschungen und Initiativen. Die Übersichtsarbeit wurde im Rahmen des groß angelegten EU-Projekts „CANCERLESS“ (Cancer prevention and early detection among the homeless population in Europe: Co-adapting and implementing the Health Navigator Model) durchgeführt, die ebenfalls von Grabovac geleitet wird.

Publikation: The Lancet Public Health
Cancer risk factors and access to cancer prevention services for people experiencing homelessness
Maren Jeleff, Sandra Haider, Tobias Schiffler, Alejandro Gil-Salmerón, Lin Yang, Felipe Barreto Schuch, Igor Grabovac
https://doi.org/10.1016/S2468-2667(23)00298-0