„Man findet Amine in fast 50% aller pharmazeutischen Produkte“, sagt Carlos Goncalves, Erstautor der Studie. Die nun vorgestellte Methode erlaubt es, die wertvollen Amine (Verbindungen, die zumindest ein Stickstoffatom enthalten) aus einfachen Alkenen zu synthetisieren.

Alkene als Ausgangsverbindungen

Alkene, also Verbindungen mit einer Kohlenstoff–Kohlenstoff Doppelbindung, kommen zuhauf in der Natur vor. Ihre chemische Transformation eröffnet daher potenziell die Möglichkeit, chemische Bausteine nachhaltig zu produzieren und dadurch Forschungsbereiche wie Medikamentenentwicklung zu unterstützen.

„Alleine in diesem Jahrhundert wurden schon drei Nobelpreise für verschiedene Aspekte der Chemie von Alkenen vergeben“, sagt Nuno Maulide, Leiter des Institutes für Organische Chemie und Wissenschafter des Jahres 2018. „Alkene sind eine privilegierte Stoffklasse und ihre Chemie wird auch weiterhin neue Entwicklungen in der Synthese wertvoller Stoffe ermöglichen.“

Ohne Zusatzstoffe

Die von der Maulide Gruppe entwickelte Methode benötigt keine Metallkatalysatoren und auch keine toxischen Reagenzien. „Mit diesem Prozess können neben den Aminen auch beispielsweise Trifluormethylgruppen – ebenso im pharmazeutischen Kontext begehrte Strukturelemente– eingebaut werden“, sagt Maulide.

Veronica Tona, Co-Studienautorin und ehemalige Doktoratsstudentin in der Maulide Gruppe bekräftigt: „Wir sind auch in der Lage, Aminosäuren und deren Derivate direkt aus Alkenen herzustellen – ein ungemein wertvoller Prozess.“ Maulide ergänzt: „Auf lange Sicht scheinen die Möglichkeiten mit dieser Chemie fast endlos. Wir haben bereits Kooperationen mit führenden internationalen Aminproduzenten ins Leben gerufen und fiebern der Möglichkeit entgegen, unseren Prozess im Kilogramm- oder gar Tonnenmaßstab ausprobieren zu können.“

Amine sind überall

Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass Amine unter anderem biologische Funktionen besitzen. Sie werden z.B. routinemäßig als Farbstoffe, Nahrungszusatzstoffe und Pharmazeutika verwendet. Manche Amine sind auch psychotrope Substanzen – von LSD bis zu Mescalin. „1919 wurde Mescalin zum ersten Mal synthetisch hergestellt, und zwar an unserem Institut. Man kann also sagen, dass Wien eine enge Beziehung zu Aminen hat“, erzählt Maulide.

„Nachhaltigkeit ist heutzutage wichtiger denn je und es ist Aufgabe der Synthesechemie, hier eine Führungsrolle einzunehmen“, so Maulide. Der Pfad in Richtung des Ideals der „Grünen Chemie“ („green chemistry“) baut auf der Fähigkeit von Chemiker*innen auf, einfache (und nachhaltige) Ausgangsmaterialien zu nehmen und diese schnell, und ohne Verwendung toxischer, teurer oder unnötiger Reagenzien, in wertvolle chemische Verbindungen zu überführen.

Grüne Chemie

Die Entwicklung der neuen Methode hebt das Ziel der nachhaltigen und grünen Chemie weiter hervor. Dies ist auch ein großes Thema in Maulides Projekt “VINCAT”, das von der EU mit einem ERC Consolidator Grant bedacht wurde und die Nachhaltigkeitsstrategie der Universität Wien verkörpert. “Wir, und viele andere an der Universität Wien, sind auch den Green Labs Austria beigetreten, um unserem Engagement im Bereich der Nachhaltigkeit noch mehr Nachdruck zu verleihen ”, so Maulide.

Originalpublikation:

Leveraging electron-deficient iminium intermediates in a general synthesis of valuable amines.

Che-Sheng Hsu, Carlos R. Gonçalves, Veronica Tona, Amandine Pons, Marcel Kaiser, Nuno Maulide*. In: Angew. Chem. Int. Ed. 2022