Dass die Temperatur die Bewegung von speziellen Immunzellen innerhalb des Körpers beeinflusst, hat Stefan Wieser anhand von relativ einfachen Experimenten mit Zellkulturen bereits vor zehn Jahren in einer Studie am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) beobachtet. Er stellte damals fest, dass eine sukzessive Erhöhung der Temperatur von 20°C auf 40 °C im Inkubator die Bewegung von Immunzellen stark verändert: Je höher die Temperatur, desto schneller sind die Zellen unterwegs, bei einer Temperatur von 20 °C hingegen verharren sie im Stillstand. Um die genauen Hintergründe dieser Beobachtungen zu untersuchen, dauerte es allerdings noch viele Jahre: „Es klingt erstaunlich, denn die Erkenntnis, dass Immunzellen auf Temperatur reagieren, erscheint offensichtlich. Allerdings gab es keinen Anhaltspunkt, wie dieser Mechanismus auf molekularer Ebene funktionieren könnte“, erklärt der Biophysiker, der gemeinsam mit Ko-Autorin Verena Ruprecht am Institut für Zoologie in der neu gegründeten Arbeitsgruppe für Quantitative Biologie (QBIO) forscht. Losgelassen hat ihn das Thema über die Jahre hinweg jedoch nicht. Während seiner Tätigkeit als Teamleiter am Institute of Photonic Sciences (ICFO) in Barcelona hatte Stefan Wieser schließlich die Gelegenheit, die Temperatur-Sensitivität von Immunzellen systematisch an Zellkulturen, aber auch in lebenden Organismen – im Zebrafisch- und Mausmodell – mit einem speziellen Thermo-Mikroskop im Detail zu studieren. Die Ergebnisse beschreiben Wieser und seine an der Publikation beteiligten Kolleg:innen in der aktuellen Ausgabe des renommierten Journals Developmental Cell.
Myosin II in fiebriger Eile
Mit steigenden Temperaturen von 25 °C („kalt“) über 37 °C („normal“) bis 41 °C („Fieber“) konnte bei verschiedenen menschlichen Leukozyten-Typen, insbesondere bei T-Zellen, Makrophagen, Dendritischen Zellen und Neutrophilen eine signifikante Zunahme der Geschwindigkeit und eine deutlich erhöhte Anzahl von Leukozyten in Lymphgefäßen nach kurzer Zeit festgestellt werden. „Bei signifikant sprechen wir von einer Erhöhung der Geschwindigkeit um bis zu einem Faktor 10, welche die Ankunftszeit in Lymphgefäßen signifikant erhöht“, verdeutlicht Wieser. Außerdem reagierten die Leukozyten instantan, also innerhalb von Sekunden, auf den Temperaturanstieg. „Wir vermuteten, dass es sich dabei um einen biophysikalischen Effekt handeln musste, der schneller als ein genetischer Schalter funktioniert“, so der Wissenschaftler. Den molekularen Mechanismus konnten Wieser und seine Kolleg:innen letztendlich dank eines komplexen experimentellen Aufbaus im Fluoreszenz-Mikroskop erkennen, der es erlaubt, Temperaturen auf Zellebene präzise zu kontrollieren: Hauptakteur in der Thermoreaktion ist das Motor-Protein Myosin II, das eine zentrale Rolle in der Zellbewegung, Zellteilung und Muskelkontraktion spielt. Bei Temperaturen über 37 °C erhöht sich seine Fähigkeit, mechanische Kräfte über das Energie-Molekül ATP zu erzeugen und so die Fortbewegung der Immunzellen zu beschleunigen. Damit ist Myosin II hauptverantwortlich für eine effiziente Immunantwort.
„Unsere Arbeit zeigt, dass die Temperatur ein relevanter physiologischer Kontrollparameter ist, der die Geschwindigkeit und die morphologischen Dynamiken auf Einzelzellebene auf autonome Weise sowohl bei kalt- als auch warmblütigen Spezies moduliert“, fasst Stefan Wieser zusammen und bezeichnet die Ergebnisse als Initialzündung für weitere Forschungsfragen, insbesondere auf dem Gebiet der Physiologie und Immunologie.
PUBLIKATION: Myosin II regulates cellular thermo-adaptability and the efficiency of immune responses. Iván Company-Garrido, Alberto Zurita Carpio, Mariona Colomer-Rosell, Bernard Ciraulo, Ronja Molkenbur, Peter Lanzerstorfer, Fabio Pezzano, Costanza Agazzi, Robert Hauschild, Saumey Jain, Jeroen M. Jacques, Valeria Venturini, Christian Knapp, Yufei Xie, Jack Merrin, Julian Weghuber, Marcel Schaaf, Romain Quidant, Eva Kiermaier, Jaime Ortega Arroyo, Verena Ruprecht, Stefan Wieser. Developmental Cell, November 2025 DOI: 10.1016/j.devcel.2025.10.006