Hat jemand plötzlich den Namen der Nachbarin nicht parat, scheitert an einer Addition oder verweigert die Lieblingsspeise, können das Anzeichen von Demenz sein. Wie erkennt man die Erkrankung aber, wenn die betroffene Person ohnehin kaum spricht, das Rechnen nicht beherrscht oder öfters emotional reagiert?
„Bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen wird die Abnahme von kognitiven Fähigkeiten häufig gar nicht bemerkt oder als Folge ihrer bestehenden Behinderung interpretiert“, weiß Barbara Gasteiger-Klicpera, Professorin für Forschung zu inklusiver Bildung an der Universität Graz. „Die Betroffenen sind eher vorsichtig oder manchmal ängstlich, viele können sich schwer ausdrücken“, so die Forscherin. Über die Fertigkeiten, die herkömmliche Demenztests abfragen, verfügen sie oft gar nicht. „Früherkennung ist aber wichtig, da man rechtzeitig mit einfachen Mitteln den Verlauf verlangsamen und die Lebensqualität verbessern kann“, ergänzt Gasteiger-Klicpera. Sie hat nun mit Dominik Pendl und Annalisa La Face ein Tool entwickelt, das die individuellen Voraussetzungen berücksichtigt.

Wachsende Zielgruppe

Der Bedarf dafür ist groß: Bis 2030 wird sich die Zahl der Über-60-Jährigen mit intellektuellen Beeinträchtigungen verdreifacht haben. „Auch bei dieser Personengruppe steigt die Lebenserwartung. Hinzu kommt ein wesentlich höheres Risiko, beispielsweise an Alzheimer zu erkranken, bei Trisomie 21 schon ab dem 40. Lebensjahr“, führt die Bildungswissenschaftlerin aus. Die Symptome treten bereits rund ein Jahrzehnt früher auf als bei der Allgemeinbevölkerung. In diesem Alter werden sie noch nicht erwartet und daher leichter übersehen. Außerdem leben die Betroffenen oftmals in Betreuungsinstitutionen mit wechselndem Personal. Das macht es schwierig, schleichende Veränderungen zu beobachten.

Individuelles Werkzeug

Die Applikation zur Beobachtung der Auswirkungen von neurodegenerativen Prozessen haben die Grazer Wissenschaftler:innen gemeinsam mit Mitarbeiter:innen aus der Behindertenhilfe entwickelt und an die Bedürfnisse im Betreuungsalltag angepasst. Sie ist einfach und ohne diagnostische Vorkenntnisse nutzbar, weiters auf lokalen Rechnern zu installieren, sodass keine sensiblen Daten auf Webserver hochgeladen werden müssen. „Zu Beginn wird das persönliche Ausgangsniveau der jeweiligen Klient:innen eingegeben, da für diese heterogene Gruppe keine Normdaten als Vergleichsbasis zur Verfügung stehen“, beschreibt Gasteiger-Klicpera.
Erhoben werden etwa Sozialkontakte, persönliche Vorlieben oder vorhandene Beeinträchtigungen. Das Tool passt die Fragen dann gleich entsprechend an. „Betreuungspersonen können in regelmäßigen Abständen bestimmte Gewohnheiten und Fähigkeiten überprüfen, etwa Kommunikation, Körperpflege oder das emotionale Verhalten, und mit früheren Dokumentationen vergleichen“, führt die Forscherin aus. Dadurch werden Änderungen bis ins Detail leichter sichtbar.
Die digitale Anwendung steht allen Interessierten unter www.digi-de.at zur Verfügung. Ihre Entwicklung wurde von der Arbeiterkammer Steiermark gefördert.